Aktuelles
Liebe Freundinnen und Freunde des Jüdischen Salons,
vor einer Woche haben wir Ihnen bereits eine Lockdown-Lektüre zu Chanukka geschickt, in der es um familiäre Traditionen zu den Feiertagen geht. Für viele von uns, die sich vielleicht als gar nicht religiös verstehen, scheint es nach der Geburt von Kindern doch ein Bedürfnis zu geben, Brücken zu bauen zu Kindheitserinnerungen aus dem eigenen Elternhaus, der alten Heimat, dem unter Umständen anderen Glauben des Partners oder der Partnerin und deren Kultur oder zu dem, was den Kindern in Kindergarten, Schule und in den Häusern ihrer Spielkameraden/innen vorgelebt wird.
In unserer letzten Lockdown-Lektüre dieses Jahr, die die Autorin Olga Grjasnowa für uns geschrieben hat, werden Sie lesen, dass sie sich mit der Aufgabe, alle ererbten, hiesigen und eigenen Gepflogenheiten unter einen Hut zu bringen, ziemlich beansprucht fühlt und dabei zwar so mancher Keks äusserlich im bunten Zuckerguss baden geht, dies dem wunderbaren Geschmack des Gebäcks aber keinen Abbruch tut.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre, und scheuen Sie sich nicht - auch ohne kleine Kinder – beim Feiern der Feste neue Wege zu gehen! Dieses Jahr allemal ….
Bleiben Sie gesund und kommen Sie nach den Lichterfesten gut ins neue Jahr.
Sehr herzlich,
Ihr Jüdischer Salon
Lockdown-Lektüren
Ich bin nicht sonderlich religiös aufgewachsen, aber das ist in der Sowjetunion kaum jemand. Unsere Familie hat zwar alle Feiertage gefeiert, nur ohne die religiösen Komponenten. Das Judentum glich einer kulturellen Performance, allerdings durchaus einer, die wir ernst nahmen. Unsere Nachbar*innen zelebrierten die islamischen und die christlichen Feiertage und mitunter kam ich bei allem durcheinander. Doch die Feste waren schön und wahrscheinlich lag es daran, dass die Zeiten damals so schwierig waren.
Meine Kinder, Daniel und Liza, sind in Oslo aufgewachsen, mit einem holländisch-jüdischen Vater und mir, einer norwegisch-jüdischen Mutter. Wir wollten ein traditionell jüdisches Heim für unsere Familie und unsere Kinder jüdisch erziehen. Und wir wollten der Erfahrung, jüdisch zu sein, unseren eigenen, persönlichen Geschmack verleihen, so wie es alle Eltern wollen. Unsere Art und Weise, Chanukka zu feiern, mag dies illustrieren.
Als wäre Lena ein Automat, der Geschichten ausspuckt, sobald man eine Münze einschmeißt. »Lena, schreib’ doch eine Geburtstagskarte für Herrn X«, sagt meine Mutter seit einiger Zeit in regelmäßigen Abständen, dabei kenne ich weder Herrn X noch Herrn Y. Als hätte meine schriftstellerische Karriere etwas mit außergewöhnlich kreativen Gratulationen für mir unbekannte Menschen zu tun. Ich sage dennoch ja. Ja zum Leben, ja zu den Glückwunschkarten und ja zu der Geschichte über Rosch Haschana.
In der Dringlichkeit
Sein
Du bist außerhalb der Zeit
Du solltest voran kommen und du bist wie von der Zeit aufgehängt
Dieser Text setzt da an, wo alles Anfang März für mich endete, oder begann.
Dass seitdem viel passiert ist, brauche ich nicht zu erklären. Die letzten Monate waren auch für mich von Ängsten geprägt, meinen eigenen Ängsten und jenen der Menschen, die mir wichtig sind. Von rationalen und weniger rationalen Gedanken und Handlungen, dem Verschicken von Calciumpäckchen an Freund*innen zur Stärkung des Immunsystems.
Was kürzlich lief
„Jude sein gehört zu den unbezweifelbaren Gegebenheiten meines Lebens.“
Hannah Arendt beginnt Ende der 1920er-Jahre mit ihrer Arbeit über die Salonière Rahel Varnhagen, sich mit der jüdischen Geschichte in Deutschland und Europa zu beschäftigen, denn bedingt durch den zunehmenden Antisemitismus war ihr Jüdischsein eine „politische Frage“ geworden. Nach ihrer Flucht in die USA setzt sie sich verstärkt mit Fragen zu einem neuen kulturellen und politischen Selbstbewusstsein aus jüdischer Perspektive auseinander. Der mit großer Sachkunde klug komponierte Band versammelt alle zu Lebzeiten veröffentlichten Aufsätze der provokanten Philosophin – in einem weiten Zeitbogen und Spektrum – zu denThemen: jüdische Geschichte, Selbstermächtigung, Antisemitismus, Flucht und Exil, Genozid, Nationalstaatsgründung und Diaspora.
Daniel Cohn-Bendit und Niko Apel werden anwesend sein.
Daniel Cohn-Bendit, der Studentenführer von einst und spätere Grünen-Politiker, hat sich sein Leben lang mit seiner europäischen Identität beschäftigt, sie gelebt. Wie aber definiert und reflektiert er – der in der 68er-Bewegung als „deutscher Jude“ bezeichnete – seine jüdische Identität? Ist es der von Sartre postulierte Antisemitismus, der ihn zum Juden macht?